Schluss mit Kunst

von Leonard Haverkamp

Heidelberg, 9. Februar 2024. Dieses Stück beginnt auf der Straße. Mit lautem Jubel, Ratschen und Glockengeklingel tanzt der bunte Zug durch die Kettengasse auf das Publikum zu, das sich erstmal hinter einer Wand aus Handys verschanzt. Schnell wird die Traube aber von den Tänzer*innen durchstoben und die ersten steigen klatschend ein. Die Parade schmücken bunt verzierte Hüte, Federn und lange Zöpfe, Teufelsmasken und silberne Cowboyboots; manche haben sich die Flaggen der Andenraumländer umgeworfen – ein Mann lässt die Wiphala flattern, Symbol der indigenen Qullasuyu.

In ihrer Mitte tanzt Tiziano Cruz, der sich vor dem Zwinger 3 per Megafon vorstellt: Geboren in einem Dorf in den Bergen im Norden Argentiniens, lebt der Künstler und Performer heute fernab der Heimat. Lange habe er alles hinter sich gelassen, um dazuzugehören – sich von Machtinstitutionen missbrauchen lassen. Damit ist jetzt Schluss. Mit seinem "Soliloquio" (Selbstgespräch, Monolog) erörtert Cruz das Paradox indigener Kunst und ihrer Vermarktung, Exotisierung, Unterwerfung unter die Logiken der Neo-Kolonialisten.

Welchen Platz hat ein indigener Körper?

Der Abend sei ein Abschied vom aristotelischen Theater, wie er es gelernt habe – zu lange hat er seine Herkunft verleugnet: "Wir hören nicht auf zu singen und zu tanzen, denn das sind wir. Und wenn man uns droht, uns die Arme abzuschlagen, halten wir unsere Banner trotzdem hoch." Stattdessen wird das Publikum an den Händen mitgezogen in den pulsierenden Tanzkreis, den Cruz mit der Trommel anfeuert. Obwohl es so wirkt, als wären alle bereit, diesen Abend vor dem Theater zu verbringen, folgt das Publikum den Tanzenden schließlich die Treppen hinauf in den Saal, nicht ohne von Cruz mit einem "Hola, Buenos Días" und einer Umarmung an der Tür begrüßt zu werden.

Von so viel Charme und Energie ist man derart eingenommen, dass man danach wie gebannt dem versprochenen Monolog aus Briefen folgt, die Cruz 2020 aus dem fernen Buenos Aires an seine Mutter schrieb. "Welchen Platz hat Körperkunst in einem Land, in dem mein Körper verschwindet, weil sich die Gesellschaft danach sehnt, weiß zu sein?", wird in großen schwarzen Buchstaben auf eine Leinwand hinter Cruz projiziert, der jetzt auf einem kleinen Podest steht. Das Fragezeichen fällt auf die Trommel in seinen Händen, seinen Körper bedeckt neben einem weißen Slip und nagelneuen weißen Sneakern ein Umhang aus bunten Perlenketten, Filzkugeln und geflochtenen Seilen, der von seinen Schultern runterhängt. Aus dem Off klingt das Echo der Trommel wie Regen.

Mit dem Kopf gegen die Wand

Voller Poesie schildert er sein Leben in der Ferne – das Vergessen, sich satt essen zu wollen, bei der kleinsten Aussicht auf Zärtlichkeit, das Weglächeln seiner Narben auf den Vernissagen. Für anderes hat er nur nackte Prosa: ein leerer Frühstückstisch, die Gefühle eines Kindes, dessen Mutter mittags nicht nach Hause kommen kann, ein migrantischer Künstler im eigenen Land sein.

Immer wieder muss man schlucken, wegen der Erfahrung von Armut und Ausgrenzung, aber auch, weil Cruz zwischendurch verkündet, keine Kunst mehr machen zu wollen. Seine Mutter bittet er dafür um Verzeihung, dass er sich an den Kunstmarkt verkauft hat, dass sein Denken eurozentristisch geworden ist. Sie hätte ihn lieber im Fluss ertränkt, als ihn so zu sehen (was, wie Cruz eingangs erklärt, viele Mütter getan hätten, um ihre Kinder nicht den Kolonialisten überlassen zu müssen). Nun begreift man auch den Untertitel des Abends: "Ich erwachte und schlug den Kopf gegen die Wand."

Sicher aber geht dieser Abend unter die Haut, weil er trotz deutlicher Worte und Bilder keine reine Anklageschrift ist (obwohl man sich bei der Abrechnung mit der weißen Hegemonie durchaus angesprochen fühlt). Neben aller Wut wird auch die Sehnsucht nach einem Miteinander spürbar, die nur durch ein Mitfühlen erwidert werden kann – für die Situation Cruz‘ und so vieler anderer.


Soliloquio
Tiziano Cruz
Deutsche Erstaufführung
Text, Regie, Performer: Tiziano Cruz / Videodesign: Matías Gutiérrez / Musik und Sounddesign: Luciano Giambastiani / Dramaturgie: Rodrigo Herrera / Lichtdesign: Matías Ramos / Kostümdesign: Uriel Cistaro, Vega Cardozo Luisa Fernanda, Luciana Iovane / Künstlerische Produktion und Grafikdesign: Luciana Iovane / Fotos: Diego Astarita / International Relations & Management: Cecilia Kuska (ROSA Studio)
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten

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