"Vielleicht muss ich mich verändern"
von Leonard Haverkamp
Heidelberg, 11. Februar 2024. Wie umgehen mit der Vergangenheit? Mit dem Erbe der Militärdiktaturen, mit modernen Formen politischen Wahnsinns, wie beispielsweise neuerdings in Argentinien? Was kann die Kunst dem entgegensetzen?
Am letzten Festivaltag werden bei "Diktatur und Theater" die Elefanten im Raum sichtbar gemacht. Eine echte Diskussion ergibt sich aber auch beim zweiten Podiumsgespräch kaum. Was daran liegt, dass es für die großen Fragen eben keine einfachen Antworten gibt, wie sie Populisten wie der frisch gewählte argentinische Präsident Javier Milei anbieten. Sicherlich auch daran, dass die Länder, die die Podiumsgäste vertreten (im Falle von José Miguel Onaindia sind es mit Argentinien und Uruguay sogar zwei), in sich schon so komplex sind, dass man stundenlang über sie sprechen könnte.
Hinzu kommt, dass die beeindruckende Liveübersetzung zwar die Sprachbarrieren niederreißt. Allerdings zwingen die leicht zeitversetzten Antworten Moderatorin Susanne Burkhardt – wie schon Bettina Sluzalek vor einer Woche – dazu, die Diskutierenden ausreden zu lassen, was ein Nachhaken oder Ausbremsen erschwert.
Nachdem sich die geplante Zeit fast verdoppelt hat (was nicht zuletzt an den verschachtelten Statement-Fragen des Publikums lag, auch der Verfasser dieses Textes bekennt sich schuldig), schwirrt einem der Kopf. Zu erfahren gab es aber trotzdem einiges, besonders für die, die mit den Geschichten der südamerikanischen Länder weniger vertraut sind.
Eindrücke der Post-Diktaturen
In Chile, wo das Glas seit der vergangenen Wahl wieder halb voll wirkt, herrscht dennoch Frust: Der neue, progressive Verfassungsentwurf fand keine Mehrheit; plötzlich ging es darum, eine rechte Verfassung zu verhindern. In Argentinien folgte auf die Aufarbeitung der Militärdiktatur die Begnadigung der Diktatoren – heute leugnet Milei ihre Verbrechen. Die argentinische Kulturlandschaft muss zudem einen Kahlschlag befürchten. Hoffnung gibt, dass der selbsternannte Anarchokapitalist keine Mehrheit im Kongress hat.
Ähnlich war es bei Jair Bolsonaro. Nach dem brasilianische Kulturschaffende bereits während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 heftiger Zensur ausgesetzt waren, machte Bolsonaro bereits vor der Wahl keinen Hehl daraus, den "Landstreichern, die sich an der Zitze des Staates bereichern", die Unterstützungen streichen zu wollen, wie sich Rafael Steinhauser erinnert, Intendant des wichtigsten brasilianischen Theaterfestivals MIT. Immerhin: Hauptgeldgeber für Kultur war und ist eine private Institution, die Bolsonaro nicht zerstören konnte. Deprimierend allerdings: Anders als die Militärdiktaturen waren Bolsonaro wie jetzt auch Milei das Ergebnis demokratischer Wahlen.
Sehnsucht nach Gemeinschaft
"Was kann die Kunst dem entgegenhalten, außer sich ihrer selbst zu vergewissern?", spitzt Burkhardt das Gespräch zu. In den Antworten klingt vor allem eines durch: Die Sehnsucht nach neuen Formen des Zusammenseins – die allerdings die Evangelikalen und die Populist*innen aktuell am Besten zu bedienen scheinen. Kuration María José Cifentes sieht deshalb in der Rückbesinnung auf das Empathische für das Theater eine Chance. Dass es oft mit dem Anprangern von Missständen assoziiert werde, münde oft in Frust und Enttäuschung; Empathie werde zu Apathie.
Einig scheint die Runde sich auch bei der Frage nach dem Umgang mit Publikumsschwund – die in Lateinamerika ähnlich gelagert scheint, wie im deutschsprachigen Raum. Um für weite Teile der Bevölkerung relevant zu bleiben oder es neu zu werden, müsse man an sie herantreten, ihnen zuhören. Schauspieler Sébastian Ignatio Pérez Rouliez stellt dabei auch das gelehrte Theaterideal in Frage und denkt über populäre Theaterformen nach: "Vielleicht muss ich mich verändern, nicht die Gesellschaft."