Diskussion

Zwischen allen Koffern

von Leonard Haverkamp

Heidelberg, 5. Februar 2024. Das Reisen ist im Leben von Theaterschaffenden fester Bestandteil. Wenn der Grund für das Nomadentum die politischen und materiellen Verhältnisse im Heimatland sind und die Brücken heimwärts bröckeln, findet man sich im Exil wieder. In diesem Fall im Heidelberger Sprechzimmer in der Diskussion "Exil. Und was dann?" mit Bettina Sluzalek vom ITI Deutschland (Deutsches Zentrum des Internationalen Theaterinstituts), um über das Arbeiten und Leben in der Fremde zu sprechen.

Traditionell kompliziert ist das vor allem für die Theaterschaffenden aus Kuba, die hier gleich doppelt vertreten sind. Im Heimatland von Nelda Castillo und José Ramón Hernández müssen Stücke seit einiger Zeit durch ein staatliches Komitee abgesegnet werden; ein neues Gesetz drängt ihnen jetzt schon während des Produktionsprozesses einen Kontroletti auf – der Albtraum für alle Kunstschaffenden. Die Situation im Land ist unerträglich geworden, Wirtschaft, Gesundheits- und Bildungssystem nahezu inexistent. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, von der Kuba wirtschaftlich abhängig war, erholte man sich zunächst vom Wirtschaftsschock. Heute ist die Lage schlimmer denn je, das Nötigste kostet ein Vermögen, nur wer Dollar hat, hat auch Kaufkraft. Wer jung ist, verlässt das Land oder träumt zumindest davon; Bilder im Hintergrund der Diskutierenden erzählen davon, auf welch klapprigen Flößen sich die Menschen auf den Weg machen. "Ihre Energie vermissen wir", sagt Nelda Castillo, Regisseurin und künstlerische Leiterin des Theater El Ciervo Encantado. Die kubanische Theaterikone ist die Einzige in der Runde, die derzeit im Heimatland lebt.

Interview

Wer spricht?

von Margarita Borja und Georg Kasch

Nach der Corona-Pandemie hatte man schon gezweifelt, ob es je eine dritte ¡Adelante!-Ausgabe geben würde. Nun aber steht die Auswahl fest, die wie schon 2017 und 2020 von den Kurator:innen Ilona Goyeneche und Jürgen Berger (zusammen mit den künstlerischen Leiter:innen Holger Schultze und Lene Grösch) getroffen wurde. Ein Gespräch über Politik und Ästhetik, Identität und Überraschungen beim Sichten.

Ilona, Jürgen, die letzte Ausgabe von Adelante fand 2020 kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie statt. Habt Ihr bei Euren Sichtungen noch Spuren der Pandemie und der Lockdowns gefunden?

Jürgen Berger: Ja, durchaus. In einigen Ländern hat man gemerkt, dass sie jetzt gerade erst wieder anfangen zu spielen. Das war eine gemischte Aufbruchstimmung, die auch mit Angst verbunden war: Wie wird das jetzt? Wie sieht es mit dem Geld aus? Man hat es ja hier immer mit einer freien Szene zu tun, in der politische Entscheidungen eine große Rolle spielen. Als ich zum Beispiel in Brasilien war, noch vor der Wahl, wusste man nicht, ob Bolsonaro oder Lula der nächste Präsident sein und was das kulturpolitisch bedeuten würde. Das resultierte in einer gewissen Verhaltenheit. Aber es gab auch eine große Freude, endlich wieder gemeinsam Theater machen, zeigen und sich überhaupt begegnen zu können.

Essay

Iberoamerika? 

von Romina Muñoz Procel

"Das Theater erscheint mir wie Brot, weil es so sehr in Allem, auch im Alltäglichen enthalten ist, eine Art Mittel, das in allen Zeiten und Kulturen vorhanden war und ist; ich stelle mir Theater als Licht vor, als eine Sehnsucht danach, all das zu erhellen, was wir nicht verstehen oder was wir nicht mögen; und ich denke mir das Theater als Schmerz, wegen der ständig scheiternden Aushandlunsgprozesse zwischen Brot und Licht."
María Folguera 

Denkt man an Iberoamerika, ruft das eine Reihe von bruchstückhaften Bildern hervor. Da sind höchst unterschiedliche Landschaften, begrenzt vom eisigen Atlantik und dem warmen Pazifik, in denen die Menschen von einem Ort zum anderen wandern, was an Bilder erzwungener Migration erinnert. Da erscheinen wie in einer Fotomontage verkrampfte Aushandlungsprozesse zwischen Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Eigenschaften und Interessen, Erben der komplexen Kolonialisierungsgeschichte Lateinamerikas. Da kreuzen sich die Wege verschiedener Gemeinschaften, die durch ihre Kleidung und Traditionen die Verbindung zu ihren Vorfahren aufrechterhalten. Lauter ineinander verflochtene Situationen, in denen die Symbole und Bilder nicht zusammenzupassen scheinen.