Das Dach der Welt 

Der Titicacasee ist ein mächtiges Symbol für das, was Bolivien ausmacht: ein bevorzugtes Reiseziel, ein Land ohne Zugang zum Meer, aber voller Naturwunder, die Wiege zahlreicher Ureinwohner-Kulturen. 70 Kilometer von der Hauptstadt La Paz entfernt und 300 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, ist dieser See die höchste schiffbare Wasserfläche der Welt und der heilige Ort der Inkas, an dem der Legende nach das Inkareich geboren wurde, das die spanischen Eroberer im 16. Jahrhundert unterdrückten.

Sechs Jahrhunderte später zog Bolivien die Aufmerksamkeit der internationalen Medien auf sich, als es 2006 den ersten indigenen Präsidenten seiner Geschichte wählte. Evo Morales wurde zum Symbol des Wandels, ein Anführer vom Land, genauer: von Kokaplantagen. Die Koka-Pflanze wird traditionell wegen ihrer medizinischen Eigenschaften verwendet. Die große Herausforderung besteht jedoch darin, zu verhindern, dass legale Kokakulturen zu Lieferanten illegaler Kokainlaboratorien werden. Leider war Evo Morales' Regierung – das kommt in Lateinamerika immer wieder vor – in Korruptionsskandale verwickelt und verhielt sich zunehmend diktatorisch. Das führte zu einer politischen Krise.

Viele Touristen berichten nach ihrer Heimkehr – geblendet von den bolivianischen Anden und tropischen Landschaften, berührt von der Herzlichkeit ihrer Bewohner – dass sie ein Land gefunden haben, in dem Schönheit und Armut nebeneinander existieren. Zu Armut, Alkoholismus, Ausgrenzung, Marginalisierung, mangelndem Zugang zu Bildung und Gesundheit kommen noch schwerwiegendere Probleme wie sexuelle Gewalt. Die Situation der Frauen in Bolivien – wie generell in Lateinamerika – ist nach wie vor beklagenswert. Laut einer Studie der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (ECLAC) aus dem Jahr 2018, in die 19 lateinamerikanische Länder und Spanien einbezogen wurden, hat Bolivien die höchste Femizid-Rate in Südamerika – zwei von 100.000 Frauen werden ermordet. Im Jahr 2022 meldete Bolivien 51.911 Fälle von Gewalt gegen Frauen und Minderjährige, 4.000 mehr als im Jahr zuvor.

Die Schönheit und der Reichtum der bolivianischen Landschaft sind durch Bergbau, Dürren und Überschwemmungen gefährdet, die durch den Klimawandel, aber auch durch saisonale Phänomene wie das El-Niño-Phänomen verursacht werden, die auch die landwirtschaftliche Produktion bedrohen. 

Doch abgesehen von diesen Problemen ist Bolivien ein Land mit einem außergewöhnlichen natürlichen und kulturellen Reichtum, in dem verschiedene Sprachen und Traditionen weiterleben und mehr als dreißig indigene Völker ein multikulturelles Gefüge bilden, das Einheimische und Ausländer gleichermaßen fasziniert. Der Tourismus schafft in Bolivien fast eine halbe Million Arbeitsplätze. Vor der Pandemie wurden 1,44 Millionen ausländische Touristen gezählt, eine Zahl, die sich seit der Aufhebung der Beschränkungen rasch erholt hat. Nach Angaben der Regierung ist der internationale Tourismus in Bolivien bis 2022 um 35 Prozent gestiegen, Tendenz steigend. Die wichtigsten touristischen Ziele sind der Madidi-Nationalpark, der Titicacasee, der Salar de Uyuni und La Paz: die höchstgelegene Hauptstadt der Welt, einer der Gründe, warum Bolivien als “das Dach der Welt” bekannt ist.