Friedensmission mit beschränkter Haftung

von Janis El-Bira

Heidelberg, 18. Februar 2017. Am Ende der Geschichte ist die Revolution nicht nur obsolet, sondern ein böser Treppenwitz. Das sehen in Santiago Sanguinettis uruguayischem Gastspiel "Sobre la teoría del eterno retorno aplicada a la revolución en el Caribe" in erster Linie vier Blauhelmsoldaten so, die im haitianischen Port-au-Prince stationiert sind, während sich draußen die Massen gewaltsam erheben.

Sie sind Uruguayer, demokratieverwöhnt und in diesem Einsatz von vornherein auf verlorenem Posten. Denn hier gebiert das postheroische Zeitalter selbst unter Soldaten zwar Neurotiker und Weltverbesserer, sicherlich aber keine Krieger.

Ein brillanter, bis in die zahlreichen Punchlines spitzgefeilter Text

Also stellt sich Carlos mit dem Gesicht zur Wand und singt Weihnachtslieder, wenn Schüsse fallen. Ernesto bemüht sich, die rassistischen Entgleisungen und grammatikalischen Unzulänglichkeiten seiner Kameraden zu glätten. Raúl kreist die verfahrene Situation mit philosophischen Klassikern ein und selbst Lenin (!), der Raufbold und Zottelbartträger unter den Vieren, sehnt sich vor allem nach körperlicher Zuneigung. In dieser Zusammensetzung ergibt das naturgemäß eine Friedensmission mit beschränkter Haftung.

"Sobre la teoría..." ist vieles zugleich: Ätzend komische Antikriegs-Satire, Kammerspiel, ein bisschen Diskurstheater und auch eine Spur didaktisch. Darin ähnelt die Inszenierung nicht unwesentlich Abenden, wie man sie im deutschsprachigen Raum vor allem von Yael Ronen kennt. Und wie jene wird auch Sanguinettis Stückentwicklung von einem brillanten, bis in die zahlreichen Punchlines spitzgefeilten Text und einem praktisch ideal besetzten Ensemble getragen. Anders aber als Ronen, in deren Arbeiten doch zumeist das warme Herz der Aufklärung die verworrenen Blutbahnen füllt, verspottet "Sobre la teoría..." mit seinem polternden Titel und den vier Jammergestalten in Uniform den selbstverschuldeten Untergang des Abendlands.

Kreuzschiffeversenken

Denn vor der Folie des siegreichen Kapitalismus enden an diesem Abend die meisten revolutionären Ansätze in der Theorie mit unangenehmen Fragen und in der Praxis mit skurrilen Bildern. Einmal skizziert der Intellektuelle Raúl seinen Kameraden an einem Whiteboard Hegels Dialektik von Herr und Knecht, um die Beweggründe des haitianischen Aufstands zu veranschaulichen. Er holt dazu weit aus, nimmt Marx und Lenin pflichtgemäß mit ins Boot und macht auch noch einen Schlenker zu Nietzsches "Genealogie der Moral". Als er endlich mit seinen "Fantastischen Vier der Subversion" durch ist, stellt einer der anderen die einzig unerklärte, doch drängendste Frage: "Und wie genau generiert man jetzt nochmal Kapital?"

Gegen Ende dann geht der Blick der Soldaten durch die zerborstenen Fensterscheiben ihrer Unterkunft nach draußen: Mit einer jahrhundertealten Kanone aus der Zeit der spanischen Eroberung versenken dort gerade die Haitianer ein US-amerikanisches Kreuzfahrtschiff. Fünfhundert Passagiere schwimmen im Wasser. "Sollen wir ihnen nicht helfen?", fragt einer in die Runde. Die Antwort ist das Radikalste, was bisher bei diesem Festival zu hören war: "Wem von beiden?"

SOBRE LA TEORÍA DEL ETERNO RETORNO APLICADA A LA REVOLUCIÓN EN EL CARIBE
(Von der Theorie der ewigen Wiederkehr anhand der Karibischen Revolution)
Regie/Text: Santiago Sanguinetti, Produktion: Andrea Silva, Bühne/Licht/Requisite: Laura Leifert, Sebastián Marrero, Kostüm: Virginia Sosa, Fotografie: Alejandro Persichetti, Ton: Fernando Castro
Mit: Rogelio Gracia, Gabriel Calderón, Guillermo Vilarrubí, Sebastián Calderón.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

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