Traumspiel aus Blut und Kokain

von Verena Großkreutz

Heidelberg, 18. Februar 2017. Das Ratschen und Klicken des Gewehrladens, ein zerplatzender Luftballon, der Kopf einer Holzpuppe, der weggezaubert wird: Gewalt äußert sich in "Los incontados" ("Die Nichterzählten"), dem Beitrag des international erfolgreichen Mapa Teatro aus Kolumbien, äußerst subtil.

Ein Theater der verschlüsselten Bilder mit viel Subtext: surreal, assoziationsreich, die Logik des Traumes verfolgend. Düster und gespenstisch ist die Stimmung, auch wenn auf der engen, von Holzwänden eingepferchten Bühne gefeiert wird, dass sie beinahe implodiert.

Dann endet die Fiesta in verzweifelter Übertreibung: Die Partydekoration aus Glitzer-Lametta und Luftballons wird durch exaltiertes Getanze derart zerwühlt, dass die Bühne aussieht wie ein Schlachtfeld. Schwer atmend und erschöpft liegen die Maskenträger inmitten der Party-Reste-Halde. Sterbende? Die im Luftzug träge zitternden Luftschlangen verbreiten eine Atmosphäre, als blase der Wind über Gräber.

Ewig währt der Karneval

Die Verflechtungen von Gewalt und Festkultur, die die kolumbianische Gesellschaft prägen, sind das Herz dieser Produktion. Gewalt finde immer dort statt, wo sich Menschenmengen zusammenfinden, so Regisseurin Heidi Abderhalden, "ob es sich dabei um eine Messe während der Karwoche handelt oder das 'Fest der unschuldigen Kinder'", das an den Kindermord in Bethlehem erinnert. Der Abend findet starke Bilder, um Gegenwart und Vergangenheit eines Landes zusammenfließen zu lassen, das geprägt ist vom Jahrzehnte schwelenden, bewaffneten Konflikt zwischen linksgerichteten Guerillatruppen, rechten Paramilitärs und der kolumbianischen Armee. Ein Zustand, unter dem vor allem die Zivilbevölkerung zu leiden und zu sterben hat.

Es ist eine ganz eigene Ästhetik, die sich auf der Bühne entfaltet. Zu Beginn: Ein bürgerliches Wohnzimmer der 1960er-Jahre, in dem sich eine Kindergeburtstagsfeier anbahnt. Bevor die Kids als Marchingband die Wohnung mit Tschingderassabum verlassen, sitzt man stumm, wie eingefroren und horcht aufs Radio. Daraus ertönt die Stimme des "Guerilla-Pfarrers" Camilo Torres Restrepo: "Wir müssen den Karneval beenden und jetzt mit der Revolution beginnen." Ein Satz, den man an diesem Abend immer wieder aus dem Off hört – derweil auf der Bühne weiterhin Karneval herrscht.

Nie eingelöste Revolutionsversprechen

Die Menschen bleiben stumm, finden keine Worte. Wie der Guerillero, der als Zauberer verkleidet seinem Töchterchen Tricks zeigt: Tücher mit der Che-Guevara-Ikone, Hammer und Sichel oder rotem Stern aus alten Hüten herbeizaubert. Während ein alter Mann mit brüchiger Stimme Schnulzen singt und mit Claves Salsa-Rhythmen klopft, berichten die Subtext-Übertitel von explodierenden Autobomben und zerfetzten Partygästen. Die Rolle von Musikern ist zwiespältig, sie spielen auch für Drogenbosse. Halbnackte Partisanen tanzen wild im Dschungel, der das Wohnzimmer langsam zuwuchert. So mancher Guerillero pflegt beste Kontakte zur Drogenmafia und kontrolliert den Koka-Anbau.

Der Kindergeburtstag vom Beginn wird nicht stattfinden. Als Metapher für die Revolution und ihre Versprechungen, die niemals eingelöst wurden. "Man muss von hier sein, um Gefallen zu finden am Schmerz", heißt es am Ende.

 

LOS INCONTADOS (Die Nichterzählten)
MAPA TEATRO

Regie: Heidi und Rolf Eugenio Abderhalden, Produktion: Ximena Vargas, José Ignacio Rincón, Bühne: Pierre Henri Magnin, Stage Manager: José Ignacio Rincón, Licht: Jean François Dubois, Musik: Juan Ernesto Díaz.
Mit: Heidi Abderhalden, Agnes Brekke, Jeihhco, Andrés Castañeda, Julián Díaz, Danilo Jiménez, Santiago Sepúlveda, Santiago Nemirovsky, Lesly Ramírez, Melanie Ramírez, Sofía Rodríguez , Mariana Saavedra, Darío Sinisterra, Sebastián Zúñiga.

Dauer: 1 Stunde 10 Minuten

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