Träume vom Wandel

Chile galt lange als lateinamerikanischer Vorzeigestaat: Nachdem 1988-1990 eine friedliche Revolution die Diktatur beendete, brummte die Wirtschaft. Einerseits hat Chile so im lateinamerikanischen Vergleich ein hohes Pro-Kopf-Einkommen und eine hohe Lebenserwartung. Andererseits profitiert vom Wirtschaftswachstum vor allem eine kleine Unternehmerelite. Ein Beispiel: Laut der Verfassung, die noch aus der Pinochet-Diktatur stammt, ist Wasser Privatbesitz.

Genau das wollte der neue linke Präsident Gabriel Boric, der seit 2022 im Amt ist, ändern. Allerdings wurde der von ihm unterstützte neue Verfassungsentwurf, der unter anderem den Ureinwohner*innen weitgehende Rechte garantiert hätte, bei einem Referendum von 60 Prozent der Bevölkerung abgelehnt. Deshalb können etwa die Eigentümer von Avocadoplantagen weiterhin das Grundwasser anzapfen – viele Kleinbauern sitzen hingegen auf verdörrendem Land, insbesondere, weil Chile besonders heftig vom Klimawandel betroffen ist. Oder die Mapuche: Die Verfassung erkennt die Ureinwohner nicht als Volk an. Auch viele Regierungen nach 1990 haben ihre Rechte systematisch missachtet. Insbesondere, wenn es um wirtschaftliche Interessen geht: Investoren drängen in das Mapuche-Territorium, das reich an natürlichen Ressourcen ist. So bleibt abzuwarten, wie sehr es Boric gelingen wird, die extrem neoliberale Privatisierungspolitik der vergangenen Jahre einzudämmen. .

Seine ungewöhnliche geographische Ausdehnung entlang des Pazifiks – 4.200 Kilometer von Peru bis zum Kap Hoorn – gliedert den 18-Millionen-Einwohner-Staat in drei unterschiedliche Klimazonen: von der weltweit trockensten Region, der Atacamawüste im Norden, über die Region um die Hauptstadt Santiago bis hinunter in den extrem niederschlagsreichen südlichen Zipfel des Kontinents. Chiles berühmteste Kulturstätte befindet sich nicht auf dem Festland, sondern rund 3500 Kilometer westlich davon im pazifischen Ozean: Die als Moai bekannten, kolossalen Steinstatuen auf den Osterinseln gehören seit 1995 zum UNESCO-Welterbe.

Kaum weniger gespalten als seine Geographie ist auch die jüngere chilenische Geschichte: 1973 endete die kurze, sozialistisch-demokratische Präsidentschaft Salvador Allendes blutig. Augusto Pinochet putschte und herrschte 15 Jahre lang mit seiner Militär-Junta. Seit 1989 befindet sich das Land in einem langen Prozess der Redemokratisierung. Diese Umwälzungen prägen in mehr oder weniger expliziter Gestalt auch das Werk der berühmtesten chilenischen Schriftsteller, von Gabriela Mistral und Pablo Neruda über Isabel Allende bis zu Roberto Bolaño, aber auch der Musiker*innen wie Violeta Parra und Víctor Jara. Die prägenden Werke der Filmindustrie wie Pablo Larraíns "¡No!" und Sebastián Silvas "La nana" setzen sich mit der Militär-Diktatur und der sozialen Kluft auseinander sowie mit dem Machismo wie Sebastián Lelios oscarprämierter "Una mujer fantastica". Theatermacher*innen wie Guillermo Calderón, Manuela Infante, Nona Fernández, Alexis Moreno und Gruppen wie Teatro SUR und La Re-Sentida sind auch über die Grenzen Chiles hinaus bekannt.

Im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts landeten viele deutsche Auswanderer in Chile. Nach dem Sturz Allendes kehrte sich die Migrationsrichtung um: Zu den Chilenen, die Unterschlupf in der DDR fanden, gehört die zweimalige chilenische Präsidentin Michelle Bachelet. Nach dem Ende der DDR wurde Santiago zum Zufluchtsort von Erich und Margot Honecker, deren Tochter mit einem Chilenen verheiratet war.